Bourgeois in Avignon, Matisse in Nizza & BHL kuratiert an der Fondation Maeght

Päpstinnen der Kunst, Matisse und ein Philosoph als Kurator - Der Kunstsommer in Südfrankreich

Louise Bourgeois berühmte "Maman" in des Ausstellung "Les Papesses" im Papstpalast von Avignon

Der Süden Frankreichs lockt nicht nur mit wunderbaren Stränden und der Aussicht auf erholsame Ferien, auch kulturell bietet der Landstrich zwischen Marseille und Nizza allerhand. So steht Marseille als diesjährige Europäische Kulturhauptstadt mit neuen Museen -wie dem MuCEM - im Zentrum des Interesses. Doch auch die etablierten Museen der Region - Collection Lambert, Fondation Maeght, das MAMAC - überbieten sich gegenseitig mit spannenden Kunstausstellungen. Unsere Autorin Dr. Evelyn Schels hat sich in der Gegend umgeschaut.

Wer sind die „Päpstinnen“ im Papstpalast von Avignon? Die Künstlerinnen Camille Claudel, Louise Bourgeois, Jana Sterbak, Berlinde de Bruyckère und Kiki Smith, „Päpstinnen“ der modernen Kunst in der sehr eindrucksvollen Ausstellung „Les Papesses“, präsentiert von der Collection Ivan Lambert. Die Werke der Künstlerinnen, die den weiblichen Körper, Sexualität, Geburt, Vergänglichkeit, Tod sowie Klischees und Tabus des Weiblichen reflektieren, stehen im Dialog mit der Legende der jungen Johanna, die, als Mann verkleidet, im 9. Jahrhundert zum Papst gewählt wurde. Als sie während einer Prozession ein Kind gebiert, wird Johanna als Frau erkannt. Gesteinigt oder von einem Pferd zu Tode geschleift – viele Geschichten ranken sich um die charismatische Päpstin. Die Werke der Kunst-Päpstinnen aus Materialien wie Bronze, Holz, Wachs, Stoff, Papier und Aluminium sind im gewaltigen Gemäuer des Papstpalastes und den Räumen der Collection Lambert klug in Szene gesetzt.

Eine der Kunstpäpstinnen: Kiki Smith, Blue Moon III, 2011

Louise Bourgeois (1911-2010), spät anerkannte Pionierin, dominiert mit ihrer Riesenspinne aus Bronze, für die Künstlerin Symbol beschützender Weiblichkeit, die Grande Chapelle des Papstpalastes. Eine ihrer zentralen Arbeiten, die Installation  „Cell (Arch of Hysteria)“, zeigt den verkrampft nach oben gebogenen Körper eines Mannes. Daneben steht eine alte Kreissäge. Eine Metapher der Hysterie, lange als rein weibliche Krankheit betrachtet, zwischen Extase und Schmerz. Bourgeois’ Zeichnungen und Aquarelle entstellen und fragmentieren den Körper, erzählen von Geburt und Tod.

Von bewegendem Pathos sind daneben die Skulpturen der Geliebten des Bildhauers Rodin, Camille Claudel (1864-1943), die für ihr Talent und ihre Liaison dreißig Jahre bis zu ihrem Tod in der Psychiatrie büsste. Zweifache Außenseiterin - als Künstlerin und als Geliebte - schuf zarte, sehnende Frauenkörper in Bronze. „L’Age mûr“ und „Clotho“, eine Greisin, von Fäden umfangen, beschreiben die Vergänglichkeit des Körpers, die Flüchtigkeit der Existenz.

Die Amerikanerin Kiki Smith (1954) schafft in ihren neuen Werken eine eigene, märchenhafte Mythologie mit Anspielungen auf die Bibel. 2012 machte sie Tapisserien, die mit Adam und Eva, Katzen und Vögeln, Monden und Sternen an mittelalterliche Darstellungen der Genesis erinnern. Mit einer nackten Frau aus Bronze, die  mit weit geöffneten Armen auf einem Scheiterhaufen sitzt, spielt Kiki Smith auf die Hexenverbrennungen der Kirche an.

Berlinde de Bruyckère (1964), Künstlerin aus Belgien, deformiert den Körper, wendet sein Inneres nach Außen: mit ihren Skulpturen aus Holz, Wachs und rötlicher Farbe gestaltet sie anatomische Fantasie-Formen. Sie gleichen freigelegten Knochen mit Sehnen und Fleischresten. Verstümmelt und schmerzhaft zerfließen ihre mit weißlichem Wachs überzogenen menschlichen Gestalten. Auch die Tschechin Jana Sterbak (*1955) spielt mit Vanitas und Vergänglichkeit mit Fotografien, auf denen Frauen wie Mannequins in Kleidern aus Fleischfetzen posieren. „Les Papesses“ – eine so gewagte wie großartig gelungene Ausstellung! (zu sehen bis zum 11. November)

Ausnahme-Kurator Bernard-Henry Lévy vor einer speziell für die Ausstellung geschaffenen Arbeit von Anselm Kiefer. Foto: AFP

"Vanitas oder Allegorie auf den Tod und das Leben" des flämischen Malers Philippe de Champaigne (1671) in der Fondation Maeght

Die Fondation Maeght bei Saint-Paul-de-Vence wagt sich mit dem Star-Philosophen Bernard-Henri Lévy - erstmals als Kurator tätig - auf unsicheres Terrain. Mit „Die Abenteuer der Wahrheit“ betitelt Lévy seinen Versuch, mit 130 Kunstwerken die Frage nach der „Versöhnlichkeit“ von Bildender Kunst und Philosophie zu stellen. Sieben Sequenzen führen ihn zur Einsicht, dass Bilder machtvoller als Worte sind. Den Auftakt nennt Lévy „Die Fatalität der Schatten“: zwei weibliche Gipsfiguren von Giulio Paolini neben einem Stillleben vonMorandi und dem Gemälde „Der Sprung“ von Pierre Tal Coat – Anspielung auf die Flüchtigkeit, ja das Verschwinden der Bilder. Eindrucksvoll und assoziativ tritt eine „Kreuzigung“ von Bronzino in Dialog mit Werken von Jackson Pollock und Jean-Michel Basquiat. Die „Heilige Veronika“ von Pierre und Gilles hängt neben einer flämischen „Veronika“ des 15. Jahrhunderts, ihrerseits flankiert vonFrancis Picabias „Mélibée“ und Warhols „Studies of Jackie“. Ein neues Werk, das Anselm Kiefer eigens für die Ausstellung entwickelt hat, „Alkahest“ mit zwei Waagschalen, fragt nach dem „Nicht-Sein“, neben Abramovics Skulptur „Der Communicator“ und Ellsworth Kellys„Red,Yellow,Blue“. Hier schwingt Nietzsche mit und seine Überlegungen zum Wesen der Dinge und der Wahrheit. Ein stellenweise überzeugendes visuelles Zusammenspiel, dessen philosophischer Überbau erstmal noch zu erobern ist. Die überfrachtete Ausstellung (bis zum 11. November) schafft überraschende Verbindungen, macht sich aber angreifbar ob einer gewissen Willkür.

Unter dem Motto „Un été pour Matisse“ steht ganz Nizza in diesem Sommer im Bann des Malers und Bildhauers. Insgesamt werden acht Ausstellungen in diversen Museen der Stadt mit insgesamt mehr als 700 Werken präsentiert. Matisse liebte die südfranzösische Stadt sehr und schuf hier einen Großteil seiner Werke. Mit „Bonjour, Monsieur Matisse“ – der zentralen Ausstellung – steht das Musée d’Art Moderne et d’Art Contemporain (MAMAC) in Nizza auf solidem Boden. Die Ausstellung zeigt moderne Künstler wie Roy Lichtenstein, Larry Rivers, Tom Wesselmann, Niki de Saint Phalle, Jean-Michel Basquiat, Andy Warhol und viele mehr, die in ihren Arbeiten den großen Meister direkt zitieren (bis zum 24. November). Ein Tanz der Künstler um die „Ikone“ Matisse!

Von Matisse inspiriert: Laurence Aegerter (Marseille, 1972) (Matisse, game of boules), 2010