Moderne Wunderkammer - Interview mit Thomas Olbricht, Kunstsammler und Gründer des me Collectors Room

Thomas Olbricht, umgeben von seinen Sammlungsstücken; 2012 © me Collectors Room Berlin, Foto: Jana Ebert

Mit der kürzlich eröffneten Ausstellung „Art & Toys“ startet der private Kunstraum me Collectors Room in der Berliner Auguststraße ins dritte Jahr. Der Gründer Thomas Olbricht zeigt in seinen Räumen die farbenfrohen Spielzeugfiguren und die Street-Art-Sammlung des Düsseldorfer Unternehmers Selim Varol. Im Interview erklärt Olbricht, wie seine eigene Sammelleidenschaft entstanden ist, welche Pläne er für seinen Kunstraum hat und worauf junge Sammler achten sollten, wenn sie Kunst kaufen möchten.

 

Nach der Ausstellung der Editionen von Gerhard Richter ist die jetzige Ausstellung „Art & Toys – Collection Selim Varol“ ein großer Gegensatz. War es ein bewusster Kontrast?

Ja, ich wollte von Anfang an unterschiedliche Positionen zeigen. So hat es sich ergeben, dass nach Gerhard Richter, jetzt etwas komplett anderes kommt. Ich möchte, dass es immer spannend bleibt.

ART & TOYS Collection Selim Varol, Installationsansicht, 2012, me Collectors Room Berlin, Foto: Jana Ebert

Sie bieten anderen Sammlern Ihr Museum als Ausstellungsfläche an. Fällt es Ihnen schwer sich zurückzunehmen und das Feld frei zu räumen für andere Sammlervorlieben?

Das „me“ im me Collectors Room bedeutet “moving energies”. Energien in der Kunst zu bewegen bedeutet: Wir räumen gerne frei und lassen anderen ihren Raum. Eine andere Persönlichkeit aus der Sammlerwelt soll diesen Raum wirklich frei nutzen, ohne Druck, ohne Grenzen. Der Gast soll sagen können: ME! Meine Kollektion. Ich darf hier machen, was ich will und es ist nichts vorgegeben. Das ist nicht immer leicht, aber es ist unser Konzept.

Was interessiert Sie an der Sammlung Selim Varol?

Ich habe Selim Varol vor genau zwei Jahren getroffen und er hat mir das Buch „Toy Giants“ gezeigt, mit Fotografien von seiner „Familie“, seinen Toys. Er sprach mit so großer Begeisterung über seine Sammlung, dass mir sofort klar war, dass ich ihn hier in Berlin ausstellen möchte. Diese Entscheidung kam ohne weiteres Nachdenken. Das ist eine ganz neue Welt, die sich da für mich auftut. Ich hätte große Lust, jetzt auch solche Figuren zu sammeln, aber man muss sich begrenzen.

Auch eine Wunderkammer.

Ja, eine moderne Wunderkammer. Und so ist es auch präsentiert mit all den Vitrinen voller seltsamer Figuren. Für mich ist das wunderschön.

Gruppenbild von Selims "Familie", 2012, Daniel & Geo Fuchs

Haben Sie als Sammler Gemeinsamkeiten feststellen können?

Selim Varol gehört zwar einer jüngeren Generation an, aber diese grenzenlose Begeisterung, sich in etwas einzubringen, sich richtig hineinzubegeben – das verbindet uns. Das gibt mir auch neue Energie. Es ist vielleicht verrückt zu sammeln, aber es bereichert das Leben. Jedenfalls meines und auch das von Selim Varol.

Sie sammeln seit fast 30 Jahren. Wie kamen Sie dazu?

Ich kokettiere ein wenig damit, dass ich immer sage, ich sammle nicht erst seit 30 Jahren, sondern seit 60 Jahren - und zwar Briefmarken. Das tue ich bis heute, aber sehr viel spezieller. Ich sammle die ersten Briefmarken, die Länder herausgebracht haben. Später, auf vielen Umwegen habe ich vor etwa 28 Jahren angefangen Kunst zu sammeln. Das war sicherlich durch mein Umfeld bedingt. In meiner Verwandtschaft wurde Kunst gesammelt. Das hat mich infiziert. Und wird man von diesem Virus befallen, findet man kein Gegenmittel mehr. Vorgestern habe ich das letzte Objekt für die Sammlung erworben, eigentlich kein Werk, sondern ein ausgestopfter Flamingo, der schon über 100 Jahre in einem Glasvitrinenschrank steht. Davor war es ein Lüster aus Muranoglas. Und davor war es ein großes Gemälde von Robert Longo.

Dface, American Depress, 2007

Wie entscheiden Sie beim Kunstkauf? Emotional oder eher nüchtern rationell?

Kunst zu kaufen ist eine Art Handwerk. Wenn man ein grundsätzliches ästhetisches Verständnis hat, dann ist es insofern ein Handwerk, dass Sie einen Blick für Qualität entwickeln. Sie können über die Jahre sehr schnell zwischen Trash und qualitativ hochwertiger Kunst unterscheiden und zwar intuitiv. Es ist sehr spannend zu beobachten, wie die unterschiedlichen Kunstwerke zusammenpassen und welche Parallelen sich entwickeln, wenn sie neu in die Sammlung dazukommen. Es entsteht eine interessante Mischung, die ein öffentliches Haus, das andere Verpflichtungen hat, so gar nicht zeigen kann. Insofern sind wir kein Museum, sondern eine Art Lab, wir probieren aus und kombinieren Verschiedenes. Und so suche ich bei Kunst und den anderen Sachen aus. Natürlich; danach habe ich immer ein schlechtes Gewissen. Immer. Schon wieder was erworben!

Aber das ist doch der Sinn und Zweck des Sammelns!

Ja genau, aber man muss aufpassen, dass es einen nicht auffrisst. Kunst zu erwerben kostet Geld. Es ist ja keine Aktie. Sie können morgen nicht an die Börse gehen und alles wieder verkaufen. Eine gewisse betriebswirtschaftliche Überlegung ist also angebracht. Kunst sollte man nur dann erwerben, wenn man etwas übrig hat.

Tilt, Sex and Violence, Canvas, 2011

Was würden Sie jungen Sammlern raten?

Man muss die Kunst mögen um mit ihr umzugehen. Und wenn man anfängt zu sammeln, muss man Geduld haben. Man muss nicht auf jeden Zug aufspringen und schon gar nicht, wenn der schon angefahren ist. Außerdem muss man Mut haben, auch mal etwas zu machen, was unkonventionell ist. Und man muss sich nicht von jedem was einreden lassen, sondern seinen eigenen Weg finden. In aller Regel dauert es mindestens zehn Jahre bis man eine Entwicklung absehen kann. Also, ob die Künstler, die man gesammelt hat, sich durchgesetzt haben oder verloren gegangen sind. Vorher lässt sich das meist nicht sagen.

Was war der entscheidende Anstoß für Ihr Museum?

Irgendwann sah ich keinen Sinn mehr darin Kunst zu sammeln, nur um sie irgendwo zu verstauen. Parallel kamen immer mehr Anfragen für Ausleihen. Aber es waren immer nur Spotlights auf die einzelnen Kunstwerke, nie kam das Gesamtbild zum Vorschein. Nachdem in Essen verschiedene Versuche einer Kooperation mit dem Folkwang Museum nicht vorankamen, kam mir die Idee ein eigenes Haus zu kreieren. Ich wollte die Kunst zu den Menschen tragen. Und das geht am besten in der internationalsten Stadt Deutschlands: Berlin. Als Klaus Biesenbach, der damalige Leiter von den Kunstwerken in der Auguststrasse sagte, da sei ein Grundstück nebenan frei, ob ich da nicht was machen wolle, wurde meine Idee konkret.

Erzählen Sie uns über Ihre eigene Sammlergeschichte. Welche Arbeiten haben Sie als erstes erworben?

Das waren regionale Künstler aus dem Rheinland, unter anderem Georg Meistermann. Aber diese Arbeiten habe ich schon nicht mehr. Ich bin ein dynamischer Sammler, deswegen auch „moving energies“. Wenn man vor 25-30 Jahren angefangen hat zu sammeln und dies, was man damals gekauft hat heute alles noch gut finden würde, dann wäre man entweder genial oder man hat sich einfach nicht entwickelt. Das wäre schlecht, denn dann wäre man ja quasi schon tot.

ART & TOYS Collection Selim Varol, Installationsansicht, 2012, me Collectors Room Berlin, Foto: Jana Ebert

Haben Sie auch damals schon Werke von Gerhard Richter gesammelt?

Am Anfang waren es deutsche Künstler der Abstraktion nach 1945, Nay, Baumeister, Winter. Von diesen Künstlern habe ich noch 2-3 Hauptwerke. Und alles andere habe ich nach 15 Jahren eingetauscht. Und dann weiter gemacht. Und vor 20 Jahren kam auch Gerhard Richter dazu. Ich habe in einer Zeit angefangen, als das finanziell noch möglich war aber auch nicht mehr preiswert. Und mittlerweile sind die Editionen Richters komplett in meiner Sammlung. Durch unsere Ausstellung gab es zwei nette Begegnungen und eine Minikorrespondenz mit Gerhard Richter, der es sehr schätzt, dass jemand alle seine Editionen gesammelt hat. Er war erstaunt.

Selim ist jetzt was ganz anders und diese Designer-Toys. Diese neue Generation zu sehen und die Vernetzung über das Internet. Zu sehen, wie per Mausklick ganz schnell 100 Stücke von diesen Objekten verkauft werden. Unglaublich, was ich da jetzt erlebe. So wie ich früher bei den Briefmarken hier eine Fehlfarbe oder dort einen Sonderdruck erworben habe geht es!! Bei Designer Toys gibt es auch Sondereditionen und manche Figuren in zehn verschiedenen Farben. Selim und die anderen Sammler dieser Sammelgattung kennen alle die Namen und vor allem auch die Namen der Figuren selbst! Sie wissen genau, was es da alles gibt. Eben genau wie Briefmarkensammeln. Nur auf einer anderen Ebene.

Welches Werk hängt über Ihrem Schreibtisch? Wechselt es, oder ist es immer das Gleiche?

Es wird schon mal gewechselt. Im Moment ist es Moritz Schleimes „Rocker’s Island“. Man sieht einen vermummten Rocker, der auf einem Segelschiff steht. Mit einem Enterhaken in der Hand will er eine Insel entern. Sein Kompagnon, der vorne im Boot sitzt, erbricht sich gerade ins Wasser. Aber daneben steht noch verpackt ein Werk von Erich Heckel, der Mann mit den Betenden Händen. Das begleitet mich schon seit meiner Jugend, als ich vielleicht 14 war. Es ist einer der bedeutenden Holzschnitte des deutschen Expressionismus. Und ich habe jetzt gerade das Plakat aus den 1920er Jahren, auf dem Heckels Werk abgebildet ist auch erworben. Ich versuche mich zu beschränken, aber es will mir nicht immer gelingen. Aber das macht vielleicht die Sammelleidenschaft aus. Ohne Leidenschaft kein Sammeln.