Fotograf Spencer Tunick in München: Mehr als tausend nackte Menschen am Odeonsplatz

Hunderte Freiwillige posieren an der Feldherrenhalle für das Installationsprojekt "Der Ring". Foto: Tobias Hase

Früh am Morgen, 4.30 Uhr auf dem Münchner Odeonsplatz: Bei 12 Grad lichtet sich langsam der Himmel, einige Betrunkene suchen nach dem siegreichen EM-Fußball-Viertelfinale der Deutschen gegen Griechenland ihren Heimweg, und der Kehrdienst beginnt mit der Straßenreinigung. München ist noch still, aber die Luft vibriert. Der New Yorker Fotokünstler Spencer Tunick hat alles durchdacht: «Ich arbeite gerne mit dem sanften Licht bei Sonnenaufgang - das hat etwas Apokalyptisches. Und die Stadt selbst ist leer und verträumt.»

Gegen 5.00 Uhr wird das verträumte Bild ziemlich real: Hunderte von rot bemalten Nackten strömen aus dem Hofgarten auf die Ludwigstrasse. Viele jubeln laut, grölen «Ausziehen», als wollten sie sich selbst ermutigen. Wenige Minuten später lässt sich Spencer Tunick per Hebebühne zehn Meter über die Rothäute heben. Er gibt Kommandos, wie «Brillen ab und alle zusammenrücken», und aus dem aufgeregten Körperwirrwarr mutiert ein Kunstwerk. Die ersten Formationen erinnern an Arbeiter in den Flammen von Wagners Unterwelt «Nibelheim».

Spencer Tunick (2.v.l.) dirigiert Hunderte Freiwillige für das Installationsprojekt "Der Ring". Foto: Tobias Hase

Hinüber zum zweiten Schauplatz laufen manche Nackte auf Händen, schlagen Rad oder hüpfen gut gelaunt. Zweites Motiv: Der feuerspeiende Drachenschlund entrollt sich aus der Feldherrnhalle auf den Odeonsplatz. Zum Finale kommen alle 1700 rot und golden Bemalten auf dem Max-Joseph-Platz vor der Oper zusammen und bilden den entscheidenden «Ring».

Alle Motive sind Elemente aus Richard Wagners «Ring des Nibelungen». Die Hommage an den Musiker ist Neuland für Tunick. «Meine Aufgabe ist es, auf Wagner Bezug zu nehmen, nicht ihn zu zelebrieren», sagt er. Zum ersten Mal lässt der Künstler seine Modelle in Farben auftreten. Das Projekt stimme ihn aufgeregt: «Es ist nicht dasselbe, wie nackt zum Strand gehen, sondern man arbeitet mit an etwas, das größer ist, als man selbst», meint Tunick.

Der Künstler war von der Bayerischen Staatsoper zur Eröffnung der diesjährigen Festspiele eingeladen worden. «Sinn der Bilder von Tunick ist es, als Erweiterung zum musikalischen Programm den Mythos vom Menschen über den Körper zu erzählen», erklärt Staatsintendant Nikolaus Bachler.

Über 1000 Freiwillige posieren am Max-Joseph-Denkmal für das Installationsprojekt. Foto: Tobias Hase

Als Dankeschön für den knapp dreistündige Einsatz bekommt jeder Teilnehmer einen Abzug von dem Bild, für das er posiert hat. «Ich bin glücklich, in Deutschland zu arbeiten», sagt Tunick abschließend. «Heute ist der Körper unter eine strenge Zensur gestellt, aber mein Wunsch ist es, dass die Leute durch diese Arbeit in Zukunft etwas versinnlicht werden.»

Seit 1992 lockt es weltweit Menschen an die Schauplätze des Kunstfotografen. Tausende wollen Produkt seiner Fantasie sein. So hat Tunick bereits Körper im Toten Meer dümpeln lassen, um gegen den Wasserverbrauch zu demonstrieren. Ein andermal stellte er Hunderte splitternackt auf einen Schweizer Gletscher zum Thema Klimawandel.