Maurizio Cattelan inszeniert in einer Retrospektive im New Yorker Guggenheim seinen künstlerischen Selbstmord

Mal sind es ausgestopfte Tiere – ein Pferd steckt mit dem Kopf in der Wand - mal sind es lebensechte Attrappen von Menschen – Hitler kniend und klein die Hände zum Gebet gefaltet. Der italienische Installations-Künstler Maurizio Cattelan, geboren 1960 in Padoa, produziert seine Plastiken meist mit großem Effekt. Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehört „La nona ora“ (Die neunte Stunde) von 1999 – eine Darstellung Papst Johannes Paul II., der von einem Meteoriten erschlagen wird. Der Titel bezieht sich auf die neunte Stunde, in der der gekreuzigte Jesus nach seinem Vater ruft. Scharen von gläubigen Polen stürmten empört in die Ausstellung und versuchten ihren berühmten Landsmann in Wachs vom Stein zu befreien. Zwei Jahre später brachte die Skandalplastik bei einer New Yorker Christies-Auktion eine Million Dollar.

Es entspricht Cattelans künstlerischem Prinzip: „Ich lasse mich lieber angreifen als ignorieren“, sagt er. Die humorige Seite des Künstlers läßt offen, ob er es gerade erst meint oder nicht – mit seinen Äußerungen, seinen Arbeiten und seinen Betrachtern.

Nun alle Cattelan-Werke auf einmal zu sehen, überfordert den Besucher beinahe visuell - vor allem wenn sie in Trauben von der Decke baumeln. So nämlich präsentiert das New Yorker Guggenheim Museum bis zum 22. Januar die Retrospektive «Maurizio Cattelan: All».

«Man könnte die Show entweder als Salamis oder als Spielzeug bezeichnen.»

Maurizio Cattelan Maurizio Cattelan, Bregenz View Work Cattelan verweigerte sich in der Vorbereitung zur Ausstellung wieder einmal dem Gängigen des Kunstbetriebs: Nach langem Ringen mit der Kuratorin Nancy Spector wurden die 130 Skulpturen, Fotos und Konzeptkunstwerke nicht chronologisch oder thematisch angeordnet, sondern bilden gewissermaßen eine neue eigene Installation: Sie hängen kunterbunt durcheinander an dicken weißen Seilen mitten von der Glaskuppel in der Rotunde des berühmten Frank Lloyd Wright-Gebäudes.

Die Beliebigkeit ist beabsichtigt. «Man könnte die Show entweder als Salamis oder als Spielzeug bezeichnen. Es war die einzige Möglichkeit, die Show dort zu machen. Das Gebäude hat mich quasi dazu gezwungen», sagte der in New York lebende Künstler dem US-Magazin «New York».

«Es ist eine Metapher für die Unsicherheit unser Zeit, der wir ausgesetzt sind», sagte Kuratorin Spector. Beim langsamen Hochsteigen auf den leeren Rampen entdeckt der Besucher neue Perspektiven auf bereits bekannte Werke.

Einem Galeristen zog Cattelan für sechs Wochen ein pinkfarbenes Peniskostüm über.

Und die sind auch nur auf den ersten Blick komisch: Das ausgestopfte Eichhörnchen, das am gelben Küchentisch Selbstmord begangen hat (Bidibidobidiboo, 1996), spielt Cattelans auf Cattelans tragischen Kindheit in Padua an. Mit dem nackten Rüssel des Elefantenbabys, das als Mitglied des Ku-Klux-Klans verkleidet ist (Not Afraid of Love, 2000), stellt er sich selbst bloß. Genauso wie mit vielen Selbstportraits in unterschiedlichen Posen.

Von der obersten Rampe des Museums hat der Besucher den kompletten Überblick - und wird vom Künstler zum Zeugen seines inszenierten künstlerischen Selbstmords gemacht: Für den berufsmäßigen Verstörer ist «All» nicht nur Rückblick, sondern auch ein Abschied. Er wolle keine Kunstwerke mehr schaffen, er setze sich künstlerisch zur Ruhe, kündigte Cattelan gerade in Interviews an. Ihm falle nichts mehr ein, sagt er. «Wenn man in einer Band wäre, würde man das Gefühl haben, dass man sich selbst wiederhole.»

Cattelan ist ein Zyniker, ein Aufreger. Seit den späten 80er Jahren karikiert er die Kunstwelt und die Strömung der Konzeptkunst.
Seinen Galeristen zumindest dürften - mal abgesehen von den erzielten Top-Preisen des Künstler - über den geplanten Abschied aufatmen: Einen Galeristen hat Cattelan für eine Installation einmal mit Klebeband an einer Wand befestigt, bis der verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Einem anderen Galeristen zog er sechs Wochen lang ein pinkfarbenes Peniskostüm über.