Politische Kunst heute

Zeitgenössische politische Kunst. Was kann Kunst bewirken - und was nicht?

Gilbert & George sind scharfe Kritiker der medialen Sensationslust - Bild: RAT / London Pictures - ERHÄLTLICH IN UNSEREM SHOP

Gilbert & George

In der westlichen zeitgenössischen Kunst kommt es heute eher selten vor, dass Künstler zu deutlichen oder gar drastischen Mitteln greifen um politische, gesellschaftskritische Probleme zu thematisieren und anzuprangern. In der übrigen Welt sieht das jedoch ganz anders aus. Dort hat politische Kunst eine ganz andere Dringlichkeit. Ein paar Gedanken zum Thema.

Kritik gibt es auch in der westlichen Kunst viel, häufig mit ironischen Untertönen. Thematisch jedoch kreisen die Themen viel häufiger um das Ich, das Private und die negativen Konsequenzen unserer Wohlstandsgesellschaft auf Menschen und Umwelt. Der Schweizer Thomas Hirschhorn ist da eine wichtige Ausnahme und ein zentraler Vertreter der politischen Richtung. Er setzt die Betrachter nicht nur erschütternden Fotografien leidender und versehrter Menschen in Krisen- und Kriegsgebieten der ganzen Welt aus. In sozialen Projekten, wie jüngst beim „Gramski Monument“ erarbeitet der engagierte Künstler auch nachbarschaftliche Projekte, die in sozialen Brennpunkten wie in diesem Fall im New Yorker Stadtteil Bronx das Fehlen kultureller Angebote und das Wegschauen von Verantwortlichen kritisieren.

Wer allzu deutlich wird, gilt als unzeitgemäß und gilt als idealistischer oder gar naiver Gut-Mensch. Und wer Visionen habe, der solle zum Arzt gehen – lautet ein vielzitierter und ziemlich abwertender Satz.

Ganz anders stellt sich die Situation in anderen Teilen der Welt dar, wo die Probleme andere sind und wo es häufig wenn nicht schon ums nackte Überlegen geht, so doch um ein Leben in Frieden und Freiheit. Das gilt nicht nur für Künstler der arabischen Welt, die jetzt im Zuge der Umstürze des Arabischen Frühlings in den Fokus rücken. Das gilt für lateinamerikanische Künstler, die mit künstlerischen Mitteln gegen die Korruption und die Drogenkriege in ihren Ländern ankämpfen. Und das gilt auch für Künstler, die in scheinbar – bzw. oberflächlich – stabilen Staaten leben, deren Regierungen sich aber schnell als sehr dünnhäutig und reizbar zeigen, wenn man ein wenig an der Fassade kratzt. Die Festnahmen von Pussy Riot in Russland oder Ai Weiwei in China haben der ganzen Welt bewiesen, was den Machthabern nicht gefällt und wie sie Einfluss nutzen um die aufmüpfigen Künstler mundtot zu machen.

Kritik, auch überdeutlich formulierte Kritik, ist also weiterhin ein wichtiges künstlerisches Mittel um unsere Welt zu deuten und Dinge sichtbar zu machen. Sie schafft ein Bewusstsein bei den Menschen - das ist der erste wichtige Schritt. Denn verbessern kann Kunst die Welt nicht, das können nur die Menschen. Aber vielleicht wurden sie ja gerade durch die Kunst wach- und aufgerüttelt.

Kritik auf den zweiten Blick: Erik Bulatov - Bild: La voûte - La pente (2001) - ERHÄLTLICH IN UNSEREM SHOP

Die Formen und Inhalte der künstlerischen Kritik sind so vielfältig, wie die Konflikte und Probleme auf dieser Welt, beziehungsweise so individuell wie es auch die Künstler sind, die sie schaffen.

Zu jenen Künstlern, deren Kritik subtil und eher nur auf den zweiten Blick zu sehen ist, gehört Eric Bulatov. Seit mehreren Jahrzehnten setzt sich der russische Künstler mit der offiziellen Ästhetik der ehemaligen Sowjetunion auseinander. In seinen Gemälden und Zeichnungen erschafft er fotorealistische Landschaften, die er – nicht unähnlich Ed Ruscha – mit Worten oder Sätzen kombiniert. Für diese „Nachrichten“ verwendet Bulatov immer seine Muttersprache, obwohl er Russland 1991 verlassen hat und nun seit über 20 Jahren in Paris lebt. Obwohl er unter erschwerten Bedingungen arbeitete, verließ Bulatov Russland nicht und wurde im Lauf der Zeit zu einer der wichtigsten Köpfe der nicht-offiziellen Kunst während der Sowjetära.

Weitere Informationen über Erik Bulatov finden Sie hier und hier geht es zu Bulatovs Werken in unserem Shop.

Politischer Kämpfer als Künstler - Nelson Mandela: Mandela's Walk - ERHÄLTLICH IN UNSEREM SHOP

Kein Künstler im klassischen Sinne, dafür eine immanent wichtige politische Figur ist der ehemalige südafrikanische Nelson Mandela. Sein mutiger Kampf gegen die Apartheid wurde mit mehreren langen Inhaftierungen bestraft, die seinen starken Willen jedoch nie brechen konnten. Nach seiner Freilassung feierte Mandela politische Siege und ist heute eine der Leuchtgestalten in Südafrika. Seine Zeichnungen sind Erinnerungsreisen an die aufzehrende Zeit im Gefängnis und sie mahnen uns zum Frieden und zur Gerechtigkeit.

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Imran Qureshi - zarte Blüten wachsen aus Blutflecken als Hoffnungsträger. Bild: Ausschnitt aus dem Buch "Side by Side" - ERHÄLTLICH IN UNSEREM SHOP

Leid und Hoffnung sind auch in den Werken von Imran Qureshi die beiden zentralen Motive. Der pakistanische Künstler gilt als der Erneuerer der traditionellen islamischen Miniaturmalerei, die er mit zeitgenössischen Themen verbindet und so in die heutige Zeit transferiert. Gerade erst stand Qureshi im Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit der Kunstwelt, als er den Dachgarten des Metropolitan Museum of Art bespielte. Dafür malte er die für ihn typischen roten Blütengeflechte, die sich am gesamten Boden des Dachgartens ranken. Befremdlich wirkt bei genauerem Hinsehen, dass die Blüten scheinbar aus Blutlachen emporwachsen, die ebenfalls überall den Boden bedecken. Damit greift Qureshi ein ganz alltägliches Bild seines Heimatlandes auf und setzt ihnen die hoffnungsbringenden Pflanzen als Gegengewicht entgegen.

Weitere Informationen über Imran Qureshi finden Sie hier und zu Qureshis Arbeiten in unserem Shop geht es hier.

Elmgreen & Dragset: Portrait of the Artist as a Young (homosexual) Man - ERHÄLTLICH IN UNSEREM SHOP

Einen westlich geprägten Blick auf die Welt und damit auch andere Schwerpunkte hat dagegen etwa das Künstlerduo Elmgreen & Dragset. Der Däne und der Norweger verstehen es glänzend mit ihrer humorvollen und ironischen Kunst auf die Schwachstellen und Lügen der Konsumgesellschaft aufmerksam zu machen. So hat der berühmtgewordene Prada Store irgendwo an einer staubigen Straße inmitten der texanischen Wüste von Elmgreen & Dragset für Furore gesorgt. Konsumkritik und Humor verbindet auch die Schweizer Künstlerin Sylvie Fleury. Ihr Stilmittel ist die Appropriation Art, mit der sie sich Konsumartikel vorknüpft und durch kleine Veränderungen aus ihrem gewohnten Kontext reißt und damit neue Sinnbezüge herstellt. Einen vergoldeten Einkaufswagen stellt sie auf eine Podest und erhebt ihn und alles was er symbolisiert, in höhere Sphären.

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Luxusartikel- und Konsumkritik von Sylvie Fleury: Gucci Handcufffs (2001-02) - ERHÄLTLICH IN UNSEREM SHOP

Auch das Künstlerduo Gilbert & George legt seinen künstlerischen Fokus auf diverse gesellschaftlich relevante Themen, wie etwa Gewalt, Rassismus oder Religion. Mediale Auswüchse der britischen Yellow Press thematisieren sie etwa in ihrer großangelegten Serie „London Pictures“. Hier wurden die sensationslüsternen und marktschreierischen Titel von Tabloids nach ihren Schlüsselworten zu Collagen zusammengestellt. Aufmacher wie: Cleaner killed in Street Attack, Mother and Son killed in Bath, und Swans killed and eaten bilden mit vielen weiteren ähnlichen Titeln ein schockierendes Ganzes, das viel über den medialen Kampf und gelangweilte und sensationsgeile Leser aussagt.

Schrift ist auch ein zentrales Motiv von Jenny Holzer – meist setzt sie die Künstlerin als Lichtkunst um mit LEDs oder als Gebäudeilluminationen. Ihre nachdenklich-machenden Sinnsprüche und Aussagen sind weitestgehend gesellschaftskritische Statements, die unterschiedliche Bereiche abdecken. Dabei zielt die amerikanische Installationskünstlerin darauf, dass der Betrachter – um ihre Message zu lesen und zu verstehen – kurz innehalten und zur Ruhe kommen muss.

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Weitere Informationen über Jenny Holzer finden Sie hier und hier geht es zu Holzers Arbeiten in unserem Shop.

Religions- und Ideologiekritik von Gilbert & George - Bild: Ban Religion (2007) - ERHÄLTLICH IN UNSEREM SHOP

 

Damit ist die Reihe der politisch und gesellschaftskritisch arbeitenden Künstler noch längst nicht ausgeschöpft. Der Franko-Peruaner Jota Castro hat das Leid der illegalen Immigranten und Boatpeople im Blick, ebenso wie der Spanier Santiago Sierra, der auf Billiglohnarbeit und menschliche Ausbeutung in teils beißenden Kapitalismuskritischen Performances aufmerksam macht. Mona Hatoum und Shirin Neshatsetzen sich als zwei prominente Künstlerinnen für Frauenbelange und interkulturelle Toleranz ein, Paul McCarthy liefert immer wieder bissige Kommentare auf den sozialen Zerfall seiner amerikanischen Heimat.

Und nicht zuletzt die stetig wachsende und immer populärer werdende Street-Art-Szene holt Kunst genau dorthin, wo viele der Probleme mit Polizeigewalt und Tränengas gelöst werden – auf die Straße. Jedes Land, ja, jede Region zeigt andere spezifische Schwerpunkte und die Statements und Karikaturen sind ein störender Dorn in den Augen der Machthaber. Politische Kunst als Protest und Widerstand – die Künstler, die oftmals im illegalen Bereich agieren, sind immer auch politische Aktivisten.

 

Lesenswerte Publikation zum Thema:

Art & Agenda. Political Art and Activism (Gestalten, 2011)

 

Ausstellungen:

Street-Art Brazil. Schirn-Kunsthalle Frankfurt a.M., bis zum 27. Oktober 2013

Santiago Sierra. Skulptur, Fotografie, Film. Sammlung Falckenberg, Hamburg-Harburg, bis zum 12. Januar 2013