Carrara Serie des Leipziger Fotografen Bertram Kober

Faszination Marmor - Interview mit dem Fotografen Bertram Kober

Inmitten der Backsteinidylle der ehemaligen Leipziger Baumwollspinnerei liegt das Atelier des Fotografen Bertram Kober. Der gebürtige Leipziger ist seiner Stadt treu geblieben, hat an der hiesigen Hochschule Fotografie studiert. Für seine fotografischen Arbeiten zieht es Kober jedoch häufig nach Italien. Genauer gesagt in das berühmte Marmorabbaugebiet Carrara. Mona Horncastle hat den Fotografen in Leipzig besucht.

Leipzig Plagwitz – hier im Westen der Stadt wurde die „Neue Leipziger Schule“ geboren, nachdem die ehemals größte Baumwollspinnerei Europas ihre Produktion einstellen musste. Dass heute in den roten Backsteingebäuden Künstler, Galeristen und auch Familien ein Zuhause haben, liegt vor allem an einem glücklichen Umstand: Die riesigen Dächer der Spinnerei waren schon immer begrünt – darum hielten Bomberpiloten im Zweiten Weltkrieg die Anlage fälschlicherweise für Wiesen. Hätte sie das gigantische Industrieareal aus der Luft erkannt, es wäre ganz sicher ausgebombt worden.

In Haus 20C steige ich auf einer Eisentreppe in das oberste Stockwerk. Ein Schild mit der Aufschrift „Stuckbau“ und ein paar Stuckelemente an den Wänden weisen mir den Weg in Bertram Kobers Atelier. Vor nicht allzu langer Zeit haben hier noch Stuckateure den Umgang mit Gips gelernt. Jetzt teilen sich der Maler Hans Aichinger, die Fotografin Susanne Wagner und der Fotograf Bertram Kober die Räume.

Bertram Kober, Jahrgang 1961, empfängt mich mit der freundlichen Gelassenheit eines passionierten Fotografen. Er strahlt die Ruhe aus die nötig ist, um über Stunden, Tage oder sogar Jahre ein Thema mit der Kamera zu umkreisen – so lange bis aus Einzelaufnahmen eine Serie wird, die alles erzählt.

Auch heute würde er am liebsten seine Bilder für sich sprechen lassen. Holt aus einem Regal mit Schachteln, Rollen und Mappen immer wieder neue Arbeiten hervor. Zeigt seine Abschlussarbeit über die Häuser des Paul Möbius. Die Sacri-Monti-Serie. Seine Fotos von Hochsitzen. Und schließlich immer wieder Bilder aus Carrara, dem altehrwürdigsten Marmorsteinbruch in Italien.

Bertram Kober in einem Atelier in der Leipziger Baumwollspinnerei

Bertram Kober

Herr Kober, dass Bildhauer sich in die Marmorbrüche bei Carrara begeben liegt in der Natur der Sache. Was aber treibt einen Fotografen auf zweitausend Meter hohe Berge?

Mein erster Besuch in Carrara 2002 war ein Besuch bei Freunden. Ich kannte natürlich all die Künstlergeschichten über Bildhauer von Statuen aus Carrara-Marmor. Und dann war mein erster Eindruck dort: Die Region hadert mit ihrer Tradition. In Carrara reihen sich die Souvenirshops mit billigen Plagiaten aneinander. Überall Michelangelos David, die Venus von Milo, Madonnen, Kruzifixe. Massenware die nichts mehr mit dem edelsten aller Baustoffe – dem weißen Carrara-Marmor – zu tun hat. Das hat mich fasziniert.

Dann verstehe ich das Initialzündung, denn Ihre Serie über Carrara besteht hauptsächlich aus Bildern in den Marmor-Brüchen. Oder irre ich mich?

Die ersten Aufnahmen wurden bisher tatsächlich nicht veröffentlicht. Ich habe Carrara bis 2007 immer wieder besucht und nachdem ich einige Male in den Marmorbrüchen war, hat mich dieses Motiv noch viel mehr interessiert. Der Ort, die Plagiate, die Geschichte der Region und die Berge – das gehört natürlich alles zusammen, aber in den Marmorbrüchen hatte ich das Gefühl, am meisten zu entdecken.

Nr. 60 (Pferd) & Nr. 42 (Kathedrale) - Aufnahmen aus Bertram Kobers Carrara Serie - ERHÄLTLICH IN UNSEREM SHOP

Aber die Berge sind ja ein industrielles Abbaugebiet. Kommt man denn da so einfach rein?

Die ersten Male haben mich Arbeiter mitgenommen, die ich über Freunde kannte. Wir sind immer sehr früh los. Ich habe mich einfach so selbstverständlich wie möglich dort bewegt – man weiß ja auch nie, auf welcher Parzelle man gerade steht, das ist recht unübersichtlich. Eine Weile ging das gut. Und als ich dann von einem Vorgesetzten „erwischt“ wurde, kannte ich schon alle Schleichwege. Am liebsten ging ich sowieso am Wochenende zum Fotografieren, wenn die Brüche menschenleer waren. Nur der Berg, die Marmorbrüche und die Maschinen.

Für mich strahlen die Bilder eine morbide Schönheit aus. Die Kombination aus Schönheit, Naturspektakel und Abbau eines Rohstoffes, also Zerstörung, ergeben ein faszinierendes Spannungsverhältnis. Ich nenne das für mich selbst die Tiefenschärfe des Blicks. Bei Ihren Bildern kann man das auch technisch interpretieren. Das Panorama etwa wirkt gestochen scharf im Detail und grafisch-abstrakt aus der Ferne. Was ist Ihr Geheimnis?

Ein Geheimnis ist es nun nicht gerade aber der Effekt den Sie beschreiben entsteht tatsächlich durch einen technischen „Trick“. Das Panorama besteht aus 26 Einzelbildern. Durch die Montage zu einem großen Bild entsteht eine optische Illusion. Das Vorne und Hinten liegen sozusagen auf einer Ebene. Dadurch wirkt das Bild von der Nähe ganz anders als mit ein paar Schritten Abstand. In Wirklichkeit kann man das Panorama so nie sehen. Trotzdem wirkt es völlig real.

Damit fassen Sie die Faszination des Themas in einem Bild zusammen?

Könnte man so sagen. Es ist sicherlich das Hauptbild der Serie.

Panorama (Detail) - Aufnahme aus Bertram Kobers Carrara Serie - ERHÄLTLICH IN UNSEREM SHOP