New Yorker Galerieszene blickt in die Zukunft

Verblüffende Parallelen: Diana Thaters Videoinstallation "Chernobyl" bei Zwirner

Diana Thaters Videoinstallation "Chernobyl" in der Galerie Zwirner in New York

Für ihre intimen Explorationen der gefährdeten Umwelt und ihrer Kreaturen geht die kalifornische Künstlerin Diana Thater selbst oft Risiken ein: sie hat Gorillas auf den Bäumen Afrikas gefilmt, das Gesicht eines blinden Tigers gestreichelt und ihre Arbeit mit Wölfen war so eng, dass ein Alpharüde sie als Partnerin auserkor.

Doch sie respektiert das Anderssein wilder Lebewesen ebenso wie sie den homo sapiens als das furchterweckendste Raubtier begreift. Die destruktive Kraft des Menschen ist das Thema ihrer Videoinstallation "Chernobyl", eine 360-Grad Projektion auf sechs Wänden - das Hexagon ist eine Nachbildung des ruinierten Kinos der Stadt - zeigt die vom Reaktorunfall am 26. April 1986 verursachte Verwüstung. Doch während die Zeit für die zahllosen Opfer unter den 50,000 Einwohnern und auch für die Stadt selbst still stand, zeigt Thater den Fortgang der Natur, bei allem Schaden. Wo einst Menschen lebten streifen jetzt mongolische Pferde durch die leeren Straßen, Kormorane nisten in rostigen Kränen und Wölfe suchen Unterschlupf in verlassenen Katen, ohne das unsichtbare Gift zu ahnen. Ingeneure ersetzen unermüdlich den mürben Zement des "Sarkophags", der die ewig untote Strahlung einschließen soll. Die Ausstellung von Thaters vielschichtigem Portrait dieser postapokalyptischen Landschaft, in der das zukunftslose Leben blüht, war eigentlich für den Januar bei David Zwirner geplant. Als dann die vermeintliche Kunstfestung Chelsea ihre eigene Katastrophe erlebte, entschied sich der Galerist spontan, Thaters Untergangsbilder in diesem schicksalhaften Augenblick zu zeigen. Die Besucher seiner Galerie, die schwer vom Hurrikan getroffen wurde, können nun ihre eigenen Schatten inmitten der Trümmern von Chernobyl betrachten, und vor der Tür sind noch die Spuren des letzten Alptraumszenariums von Menschenhand zu sehen.

Diana Thater © Sigrid Rothe

Wie kam es zu der Ausstellung von Chernobyl in den Fußstapfen von Sandy?

Ich steckte im Schnitt einer Ausstellung, die nächste Woche in LA eröffnet, als drei Zwirner-Angestellte aus einem Auto auf dem Parkplatz von MacDonald's anriefen - unmittelbar nach dem Sturm funktionierte das Handy nirgendwo sonst. Man erklärte mir, dass David die Galerie sofort wieder öffnen wollte, das alle Hunger auf Kunst hätten - und dass ich das Material am nächsten Tag abschicken müßte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass meine Galerie mich brauchte. Es gab so viel Schadenfreude, dass Sandy die Galerie dieses mächtigen Händlers getroffen hatte. Ich wollte sofort helfen, aber erst mußte ich wählen, dann nahm ich das nächste Flugzeug. Ursprünglich wollte ich die Installation im Schutt des Hurricans zeigen, aber die Galerie zog es vor, sie wie geplant in dem sechseckigen, vom Kino in Chernobyl inspirierten Raum zu präsentieren, und sie bauten ihn in zwei Tagen. Ich finde, dass die Arbeit in diesem Kontext sehr viel Emotion wachruft.

Der Bezug zu Chernobyl stellt den menschlichen Einfluß von Sandy in den Vordergrund?

Meine Arbeit vertritt eine ethische Position, die von der zerstörerischen Beziehung des Menschen zur Natur handelt. Der Fall Chernobyl illustriert das am deutlichsten, und Hurrikan Sandy ist eine weniger direkte, aber auch ungeheuer destruktive Variante, deren Ursache der Klimawandel ist - das ist eine Tatsache, und da gibt es keine zwei Seiten, auch wenn Tatsachen in den USA immer als debattierbar hingestellt werden

Als wäre das Demokratie. . Beide Desaster sind das Resultat verfehlter Politik

Chernobyl kam aus dem gleichzeitigen Scheitern der Wissenschaft und des politischen Systems zustande - Chernobyl ist einer der wesentlichen Faktoren, der Prestroika hervorbrachte, weil die Sovietunion sich die Sanierung nicht leisten konnte, stattdessen wurde die am meisten verstrahlten Gemeinden einfach abgerissen und in einer riesigen Grube begraben. Es gibt auch einen LKV-Friedhof und einen Hubschrauberfriedhof.

Aufräumarbeiten laufen in fast allen Galerieräumen Chelseas © Sigrid Rothe

Aber Sie zeigen einen Ort voller Tiere und Vegetation.

Die Wissenschaftler, die die Fauna im Sperrgebiet untersuchen, haben mich ausdrücklich darum gebeten, den Eindruck zu vermeiden, dass dort das Leben blüht, das ist der Mythos, den die ukrainische Regierung verbreitet. Aber ein erstaunlicher Förster namens Wassily bemüht sich darum, die vom Aussterben bedrohten mongolischen Pferde zu beschützen. Er hat dieses riesige Stück Land zur Verfügung, das jenseits des Gesetzes operiert und von der ukrainischen Geheimpolizei und der Armee patrolliert wird. Er will sogar Grizzlies aus den US nach Chernobyl holen. Sein Argument ist, dass diese Tiere ohnehin zum Aussterben verurteilt sind. Wenn es einen anderen Lebensraum für sie gäbe, dann wären sie längst dort.

Wir haben tatsächlich den Darwinismus auf den Kopf gestellt - nicht mehr der Stärkere überlebt, sondern derjenige, der am weitesten vom Menschen entfernt lebt, wie in Chernobyl oder der entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea.

Tiger werden bereits im Laufe meines Lebens verschwinden, es sind weniger als 5000 in freier Wildbahn übrig. Wenn ich sie dokumentiere, dann auch in der Hoffnung, dass man sie in hundert Jahren noch in meinen Videos sehen kann.

© Sigrid Rothe

Ein wenig wie die Entdecker des frühen 20. Jahrhunderts, die Exemplare exotischer Tiere aus Afrika für die Naturkundemuseen des Nordens erlegten, wohl wissend, dass diese Arten in der nahen Zukunft verschwinden würden. Allerdings töten Sie die Tiere nicht, um sie für die Nachwelt zu bewahren.

Jacques Derrida hat gesagt, dass man zum Verständnis einer Sache entweder über die Vivisektion - das Töten und Zerschneiden des Forschungsgegenstandes - gelangt, oder aber über die Herstellung eines Modells. Dieser Idee schließe ich mich an: ein Modell für die Beobachtung bauen und dem Betrachter mitteilen, dass ein Tier ein Subjekt und kein Besitzobjekt oder eine Projektionsfläche für spirituelle Interaktion ist.

Ihre Kunst ist auch eine Waffe gegen die Anthropomorphisierung.

Ich kämpfe gegen den Gedanken, dass Tiere nach den gleichen Regeln leben wie wir. Die Alternative zur Vermenschlichung ist Beobachtung und Verständnis, nicht dieser gefühlsbetonte Ansatz, denn Tiere empfinden keine Emotionen für Menschen - sie wollen in Ruhe gelassen werden. Das einzige, was man tun kann, ist beobachten und zu verstehen versuchen, wie andere Geschöpfe in dieser Welt leben. Denken durch Sehen, das ist Kunst.

© Sigrid Rothe